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Interview mit Peter Fricke: Verlust von Kultur ist für ein Land sträflich — unser Fernsehen kommt seinem Auftrag nicht nach. Anspruchsvolles wird in die Nacht verbannt.
Rheinischer Merkur / Christ und Welt Nr. 31 - 31. Juli 1987


Schauspieler wurde er nur wegen des Theaters. „Denn der lebendige Vorgang ist unersetzbar". Mit 29 Jahren war Peter Fricke bereits Staatsschauspielerin München. Doch bald verließ er das feste Engagement, „weil man am Theater Politik nicht spielen, sondern mit Theater Politik machen wollte, weil man Tradition verleugnete, Ensembles zerstörte". Das Fernsehen wurde Frickes zweite Heimat. Über 120 TV-Rollen hat er seither verkörpert - in den bewegendsten Schattierungen, vom obskuren Psychopathen bis zum galanten Liebhaber.

RHEINISCHER MERKUR/CHRIST UND WELT: Die Fernsehanstalten werden Kritikern gegenüber nicht müde zu betonen, Literaturverfilmungen und Fernsehspiele würden trotz Serienbooms nicht aufgegeben. Rolf Seelmann-Eggebrecht meinte für die ARD: Mittwoch, 20.15 Uhr, bliebe dem Fernsehspiel heilig. Denken Schauspieler auch so optimistisch?

PETER FRICKE: Rosig ist die Lage nicht. Das große ZDF dreht in diesem Jahr nur fünf Fernsehspiele. Und darum reißen sich dann 72 Produzenten. Es ist auch nicht richtig, was Seelmann-Eggebrecht für die ARD sagt. Der Bayrische Rundfunk (BR) beispielsweise hat im letzten Jahr nur einen „Tatort" sowie ein Fernsehspiel gedreht. In dem Fernsehspiel ("Drohung bei Mondlicht", Sendetermin 15. Juli 1987) habe ich selbst mitgespielt. Alle waren glücklich, wieder eine Rolle bekommen zu haben. Dabei war der BR einmal für seine Fernsehspiele berühmt.

? Ein Argument für den Produktions- rückgang lautet: Wir habe keine guten Regisseure mehr. Umgeher, Staudte, Beauvais sind tot.

Es ist fast eine Unverschämtheit, zu sagen, wir hätten keine guten Regisseure mehr. Es gibt sie, nur stehen sie heute so unter Produktionszwang, daß man ihnen die Konditionen nicht mehr einräumt wie Umgeher oder Beauvais. In Serien wird zum Teil mit drei Kameras gedreht. Wie soll das ein Regisseur bewältigen? Er hat ja keine Übersicht mehr, er kann nurmehr arrangieren. Natürlich, die Produktionskosten werden immer höher, und die Auftragsproduktionen werden von den Sendern gedrückt. So steht ein entschuldigendes Argument gegen das andere. Man müßte mehr Geld in die Produktion und weniger in die Verwaltung investieren.

? Fehlt es nicht auch an Stoffen für die gute Abendunterhaltung.

Aber nein! Nehmen Sie doch nur die BBC. Dort entstehen die Literaturverfilmungen, die wir dann synchronisieren -die wir aber gerne selber spielen würden. Im übrigen wird natürlich auch wenig von unseren Anstalten getan, um Autoren zu fördern. Man kann Autoren nicht einfach nehmen, sich totschreiben lassen und dann wegwerfen.

? Sind die Schauspieler nicht auch von den privaten Anbietern enttäuscht? Waren nicht gerade von neuen Programmen mehr Impulse erwartet worden.

Die privaten Anbieter hätten nur dann eine Chance, wenn sie Entertainment und Sport im Überfluß ausstrahlen könnten. Da die Öffentlich-Rechtlichen sehr viel mehr Geld haben, binden sie gerade diese beiden Programmpunkte mühelos an sich. Dabei täte dem Entertainment jede Konkurrenz gut, denn in ARD und ZDF ist es völlig unterbelichtet. Es gibt einen Mann wie Thomas Gottschalk, der das sehr gut macht, der aber keinen Hintergrund hat. Da ist wenig Substanz, da kommt nur ein lockerer Spruch. Er macht das Manko zur Tugend, indem er seine Fragen als dumme Fragen apostrophiert. Er ist sozusagen stolz darauf, nichts zu wissen!

? Würden Sie der These zustimmen: Das Genre Show kopiert sich in Deutschland zu Tode?

Uneingeschränkt. Dieses Genre wird seit Jahrzehnten von den Gleichen beherrscht. Diesen Shows mit einer schimmernden Scheinwelt ist jeder Sinn ausgetrieben. Das liegt nicht zuletzt an den Machern. Dazu gehören auch teutonische Showtalente wie Wim „Bum" Thoelke mit seinen drei Bewegungen und dem spröden Charme der Miederwarenabteilung eines Kaufhauses, der nicht in der Lage ist, frei zu formulieren, aber unerbittlich unterhält.
Eine neue Form der Unterhaltung ist der Kandidat als öffentliches Opfer. „Gameshows" nach anglo-amerikanischem Muster werden immer beliebter. Der Kandidat muß Mutproben absolvieren, Ekel- und Peinlichkeitsschwellen überwinden. Je mehr er gelitten oder sich entblößt hat, desto größer ist sein Erfolg.
Hinzu kommt, daß fast alle Musiksendungen im Fernsehen, selbst Rockkonzerte aus der Grugahalle, Playback, also als Retorte über den Sender gehen. Shows verlangen nach Lebendigkeit und keinem Betrug durch Künstlichkeit in Form von glitzerndem Galatanderadei im Playbackverfahren.

? Trägt nicht auch der Publikumsgeschmack, der Synthetisches mehr liebt als Live, der Serien mehr schätzt als Literaturverfilmungen, dazu bei, wie und warum die Sender ihr Programmgebaren geändert haben?

Es ist doch eine törichte Meinung, zu glauben, jemand, der tagsüber Kosmetik verkauft, könne sich abends, weil er kaputt ist, nur mehr Operette ansehen. Deshalb kommt es zu dieser Einschaltquotenfixierung, dieser Idiotie, die voraussetzt, daß man nur noch bedient, was eingeschaltet wird. Und alles, was nach Substanz, nach Kultur riecht, wird in die Nacht verfrachtet. Wem also der Intelligenz-Spiegel die Abendprogramme nicht reicht, der muß solange aufbleiben, bis die Mehrheit der Seher schlafen gegangen ist.

? Was wollen die Schauspieler tun, um vor allem dem ausländischen Serienboom zu trotzen? Denn diese Mammutserien nehmen doch wertvolle Sendeplätze weg?

Ich muß es deutlich sagen: Es gibt keine Solidarität unter den Schauspielern. Sehr viele lassen sich für alles engagieren, für Kondome, für politische Ideen etc., aber ich vermisse, daß sie ihren eigenen Bühnenboden putzen. Wann fangen sie an, sich selber zu lenken, sich um das verlorengegangene Berufsethos zu kümmern? In Italien haben Schauspieler mit Streiks erreicht, daß die ausländischen Produktionen reduziert werden mußten, mit der Quote 70:30 für die eigenen Filme. Hierzulande wurde eine Quotenregelung damals von der SPD verhindert, leider. Nur wenn wir uns solidarisieren wurden, hätten wir eine Chance.

? Haben Sie aufgrund Ihrer prononeierten Meinung nicht Schwierigkeiten mit Regisseuren?

Ich setze mich innerhalb meiner Arbeit mit dem, was ich brauche, durch. Und durch das Wechselspiel Theater/Fernsehen bin ich nicht auf einen Bereich fixiert. Was ich beklage, den Verlust an Kultur, wird aber von vielen geteilt.

? Sie glauben wirklich, der Kulturauftrag der Fernsehanstalten gehe verlustig?

Man könnte den versäumten Kultur auftrag ja einklagen. Es ist ein großer Fehler, etwa Kultur nicht in die Tages-und Abendnachrichten zu integrieren wie den Sport. Da wäre eine Verpflichtung. Die Friedrich-Luft-Kritik in Berlin wird doch auch vom Metzgermeister nebenan gehört, weil sie so spannend gemacht ist. Der Verlust von Kultur ist für ein Land sträflich. Man kann auch nicht immer mit dem US-Fernsehen winken. Amerika ist für Europa, was Kultur betrifft, kein Ausgangspunkt.

? Sie beklagen auch den Umgang des Fernsehens mit unserer Sprache?

Die Leute, die sich am Business-Englisch orientieren, wollen nicht mehr zuhören, wollen aber kurz und bündig, vollinhaltlich in Kürzeln informiert werden. Wir leisten uns im Fernsehen eine Hämmersprache: Die Korrespondenten rattern auf immer gleichem Level ihr Pensum herunter. Alles ist auf komprimierten Empfang orientiert. „Die Sprache läßt unser Bewusstsein hell werden", sagte Karl Jaspers. Zurzeit ist es umgekehrt, denn wenn die Sprache verkommt, verkommt auch die Kultur – schrieb einmal ein großer Philosoph.


Das Gespräch führte Hermann J. Huber, unter anderem Autor des „Schauspieler-Lexikon der Gegenwart".


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